Herr S. und die Morgengymnastik

Herr S. macht sechzehn Liegestütz

als tägliche Gymnastik,

geht achtmal in den Schneidersitz -

schön langsam, nicht so hastig -

beugt seinen Rumpf, und zwar zurück,

macht sieben Scherensprünge,

Kniebeugen bis zu fünfzig Stück

und dreizehn Hüftaufschwünge;

beginnt den Tag frisch und befreit,

fühlt, wie er fit und stark ist,

und denkt: Es tut mir richtig leid,

dass dieser durchtrainierte Leib

trotz allem - für den Sarg ist.

 


Der unzeitgemäße Herr S.

Oft sitzt Herr S. in seinem Zimmer

und freut sich. Oder noch viel schlimmer:

erlaubt sich, auf sein Innen achtend,

sich selbst als Phänomen betrachtend,

beglückt zu staunen über sich:

Ei, Gott zum Gruß, das bin ich.

 

Und mitten bei hochoffiziellen

Verhandlungen mit höchsten Stellen

sowie beim Küssen seiner Frau

betreibt er solche Innenschau,

zieht taktlos sich in sich zurück

und sieht sich an und strahlt vor Glück.

 

In Anbetracht: die Welt läuft heiß

und keiner glaubt, was jeder weiß

und was nicht Unrecht ist, ist teuer -

ist dies Verhalten ungeheuer.


Herr S. seine niederen Triebe besiegend

Herr S. packt manchmal ein Gelüsten

nach irgendwie zwei Frauenbrüsten.

Herr Z. ergrimmt. Er sagt: ihn widern

die Strolche, die die Frau erniedern

und dass das Edlere und Hehre

nicht feil für wilde Wollust wäre.

 

Herr S. dies hörend, ist beschämt,

er bändigt, zügelt sich und zähmt.

Und seufzt seither mit gleicher Lust

nur noch nach einer Frauenbrust.

 


Herr S. begreift die Sonne

In seinem Wissensdurst tat sich Herr S. versteifen

auf den Versuch, die Sonne zu begreifen.

 

Unter Hintansetzung diverser Heilsideen

und überhaupt: schwänzt er das Weltgeschehen,

 

greift sich den ersten besten Morgensonnenschein,

schließt sich im finstern Heizungskeller ein,

 

um dort geschlossenen Auge ein Buch zu wälzen:

Die Massedifferenz beim Wasserstoffverschmolzen.

 

Rückkehrend strahlt er vor Erkenntnisglanz:

"Ja!" ruft er, " ich begreife - ich begreife noch nicht ganz!"


Herr S. erläutert seine politische Unzulänglichkeit

In Politik mich einzumischen

bin ich mindestens viel zu dumm.

Statt Krieg lieb ich Frieden

uns sonst nichts dazwischen,

weiß aber kein bisschen zu sagen, warum.

 

Ich scheitre ja schon an so harmlosen Fragen

wie : Krieg gegen Krieg, ist das auch Krieg?

Und gar:

Wenn Sterben zum Weinen ist, darf man dann sagen,

dass Feinde auch sterben - und Feinde beklagen?

Da steht man als Laie ganz fragwürdig da.

 

Man versteht ja zu wenig von höheren Werten.

Wen ich totschlagen muss, woher weiß denn das ich?

Wenn ich selbst einen aussuch, bestimmt den Verkehrten.

Ich denke da manchmal zum Beispiel an mich.


Herr S. und der schöne Schein

Auf seinem Teppich und auf allen vieren

sitzt ein Herr S. inmitten von Papieren.

Geburtserklärung, Kündigung,

Entlassungsschein, Entmündigung,

Bei-.Über-.Rücktritts-.Aus-.und Ein-.

Zu-.Unter-.Überlassungschein

sowie diversen inhaltsstarken

grünrot bedruckten Beitragsmarken

und murmelt bei sich: Immerhin,

dies alles hier beweist, ich bin.

 

Ja, oft in solchen Augenblicken,

statt sich der Welt schnöd zu entrücken,

greift er zu irgendeinem Schein

und stellt erleichtert fest, zu sein.



Herr S.                                            der Durchschnittsmensch

Herr S. bezeichnet sich mit Entsch-

iedenheit als Durchschnittsmensch.

 

Herr Z. sagt aber unerbittlich:

Mitnichten S., bist du durchschnittlich!

 

Denn wer, von allen wetterwend´schen

rein durchschnittlichen Durchschnittsmenschen,

 

wer sieht wie du, mein Freund, schon ein,

ein durchschnittlicher Mensch zu sein?

 

Herr S. gefällt dies Argument

so sehr, dass er es anerkennt.

 

Er nennt seither mit noch mehr Entsch-

iedenheit sich: Durchschnittsmensch!

 

 


Herr S. und Herr Z.                       und die Sicherheit

Herr S. liegt mit Herrn Z. im Streit.

Herr Z. verlangt nach Sicherheit.

Herr S. erscheint nichts lächerlicher

als Sicherheit. Was ist schon sicher?

 

Herr Z. jedoch, mit Kraft und Schwung,

versichert, dass Versicherung

vor Schaden jedem jederzeit

sichtbar mehr Sicherheit verleiht.

 

Aha, beginnt Herr S. zu kichern:

Dass Schaden kommt, kann man versichern?

Nicht dass entgegnet Z. Nur wenn:

zu sichern den Versicherten.

 

So wäre also Sicherheit:

dass man unsicherheitsbereit

nie sicher ist, wann und wie weit

Sich-Sichern Sicherheit verleiht?

 

So streiten sie die ganze Zeit.

Herr Z. verlangt nach Sicherheit

Herr S. erscheint nichts lächerlicher.

Ob sie je enden, ist nicht sicher.


Herr S. und die Freude am Gespräch

Herr S.hört staunend jeden an,

der viel und lange reden kann.

 

Herr Z. jedoch sagt, dass sich Geist

stets knapp und konzentriert erweist.

 

Herr S. hat aber sein Vergnügen

ganz einfach nur, wenn Wort fliegen

und wenn auf ein verträumtes : " Wie? "

gleich eine Wort-Epedemie

zurückkommt. Wo, durch welche Kunst

gewinnt man ähnlich viel umsunst?

Und wie kann man mehr Freude machen

als durch ein Nicken, kurzes Lachen,

ein " Hm "," So, so ", ein leichtes " Ei"?

Und dann, zum Schluss der Rederei,

der man kein bisschen zugehört,

sagt man halb freudig, halb empört:

" Ich pflichte Ihnen völlig bei."

 

Herr S. gilt weithin als ein Mann

der wirklich noch zuhören kann.


Der versehentliche Herr S.

Herr S. fühlt sich in diese Welt

wie aus Versehen, hineingestellt,

bemüht sich allerdings inzwischen,

den schlechten Eindruck zu verwischen,

liest Zeitung, nörgelt und trinkt Bier,

sieht fern wie alle Leute hier

und unterschlägt dem Meldeamt,

dass er von ganz woanders stammt.

 

Nur manchmal, beispielsweise, wenn

man ihn direkt fragt, ob er denn

nicht auch für Recht und Ordnung sei,

für Fortschritt, Aufstieg, Polizei,

beherrscht er nur mit Mühe sich

und sagt: Ja, ja! Versehentlich.


Herr S.ist oft etwas zerstreut

Herr S.ist oft etwas zerstreut.

Was ihm Herr Z. nur schwer verzeiht.

Man darf nicht, sagt Herr Z., zerstreut sein,

man muss bereit sein und befreit sein

und auf dem Höhepunkt der Zeit sein.

 

Herr S. gesteht, dies einzusehn.

Und wagt Herrn Z. nicht zu gestehen, 

dass was er einzusehn bereit ist,

er schon vergaß, weil er zerstreut ist.


Wie Herr S. Erfolg haben könnte

An manchen Tagen bleibt Herr S. im Bett.

Aufsteht und macht und schafft allein Herr Z.

 

Herr S. erwacht nur ab und an und sieht

( vom Bett aus ), wie Herr Z. sich müht:

 

ankurbelt, aufräumt, eingreift, vorschlägt, ringt,

ein-, um-, in Schwung, in Gang und vorwärtsbringt.

 

Herr S. wird schon vom Hinsehen, ach, so matt.

dass er zurücksinkt auf die Lagerstatt

 

und weiterschläft. Spätabends legt Herr Z.,

vibrierend noch, sich zu Herrn S. ins Bett

 

und sagt, So könnte es gelingen,

dass wir, mein Freund, es doch zu etwas bringen:

 

Wenn du, statt unsre Angelegenheiten

mit Wägen, Zweifeln, Fragen zu zerstreiten,

 

nur immer weiterschläfst, gesund und fest,

und nie mehr aufwachst und mich machen lässt!


Der unzeitgemäße Herr S.

 Oft sitzt Herr S. in seinem Zimmer

und freut sich. Oder noch viel schlimmer:

erlaubt sich, auf sein Innen achtend,

sich selbst als Phänomen betrachtend,

beglückt zu staunen über sich:

Ei, Gott zum Gruppe, das bin ich. 

 

Und mitten bei hochoffiziellen

Verhandlungen mit höchsten Stellen

sowie beim Küssen seiner Frau

betreibt er solche Innenschau,

zieht taktlos sich in sich zurück

und sieht sich an und strahlt vor Glück.

 

In Anbetracht: die Welt läuft heiß

und keiner glaubt, was jeder weiß

und was nicht Unrecht ist, ist teuer -

ist dies Verhalten ungeheuer. 


Herr S. und das klare Wort

Herr S. gestand einmal, wie soll man sagen,

andeutungsweise: die Einscheidung sei

gewissermaßen, wie in solchen Fragen

schlechthin, wenn auch nicht zweifelsfrei

so doch sowohl und unbedingt als auch,

wie andrerseits und freilich nirgendwo.

 

Drauf warnte ihn Herr Z. vor dem Gebrauch

eindeutiger Versprechungen und so...

 

Herr S. jedoch entgegnete, es schade

der klaren Sache nie ein klares Wort,

zumindest nicht bis zu gewissem Grade

und falls man und so weiter und so fort...

 


Herr S. fasst seine guten Vorsätze zum neuen Jahr

Herr S.vom Leben längst gewitzt,

weiß, dass es überhaupt nichts nützt,

Vorsätze, löbliche, zu fassen,

und fasst den Vorsatz, es zu lassen.

 

Herr Z. ist die Idee entsetzlich.

Wer ohne Vorsatz sich vorsätzlich

nichts vorsetzt, zeige überhaupt,

dass er selbst an sich selbst nicht glaubt.

 

Drum macht Herr S. sich rasch ein paar

Vorsätze aus dem Vorjahr klar,

staubt sie kurz ab und denkt dabei:

die sind ja noch so gut wie neu.

 

Ha, denkt er, wie bequem ist dies:

dass man Vorsätze fallen ließ.

Weil man die kaum Gebrauchten dann

ganz gut noch mal gebrauchen kann.

 


Herr S. und die menschliche Begegnung

Herr S.sieht einen Menschen im Gewühl

und hat sofort das sichere Gefühl:

den kenn ich.

Allerdings woher,

erinnert er mit aller Kraft nicht mehr.

 

Doch jenem scheint es ebenso zu gehen:

Er grüßt, um schnell woanders hin zu sehen.

 

Herr S. jedoch

steht lange noch

auskostend die geheimnisvolle Segnung

der rein abstrakten

menschlichen Begegnung.

 


Herr S. etwas unten

 

In einer ihm gegrabenen

zu spät von ihm bemerkten Grube saß Herr S.

Zunächst noch der erhabenen

Gedanken bar, schien er verstört. Indes:

Je mehr er sich als unbeweglichen

Gefangenen mit Schmerz erkannte,

bemerkte er: Es übermannte

selsames Mitleid ihn für jeglichen

Beweglichen, der oben, frei mit Schauern

hinwandern muss, weil Gruben auf ihn lauern.

 


Herr S. auf Tagesklau

Manchmal geht Herr S. auf Tagesschau.

Wenn Herr Z. nicht hinsieht, schnappt er schlau

ein Stück Vormittag ihm weg.

Im schlimmsten Fall

einen ganzen Leistungsintervall -

um sich aus den so erschlichen Stücken

einen vollen Tag zusammenzuflicken.

 

Den verjuxt er dann mit Leuten

oder Phantasien, die gleichfalls nichts bedeuten.

Schlägt jedoch beschämt die Augen nieder,

nickt verständnisvoll und seufzt dabei,

wenn Herr Z. fragt, wo schon wieder

seine Zeit geblieben sei! 

 

 


Herr S. und das Geheimnis

 

Im Übrigen besitzt Herr S.

ein konsequent gehütetes

Geheimnis.

 

Von diesem wissen alle bloß,

dass sie nicht wissen, ob es groß

oder nur klein ist.

 

Herr S. verheimlicht aller Welt,

wer dies Geheimnis ihm erzählt,

falls überhaupt!

 

So dass so mancher Zweifler, dass

Herr S. ein solches je besaß,

schon nicht mehr glaubt.

 

Herr S. geht darauf gar nicht ein.

Er hütet, ob er sich geheim

auf etwas einließ.

 

Wenn also, dann besitzt Herr S.

ein konsequent gehütetes

Geheimnis. 

 


Herr S.und die Kirchensteuer

 

Herr S. pflegt sich in Gottesfragen

sehr unvernünftig zu betragen.

Er sieht zum Beispiel hocherfreut:

Kein Denkender ist mehr bereit,

der Kirche Steuern zu entrichten,

um Gott zur Nachsicht zu verpflichten,

denn - so denkt der, der denken kann -

Gott kommt es nicht auf Steuern an.

 

Herr S. jedoch, da er gelernt,

Gott sei unendlich weit entfernt

von unsrer Weisheit - überhaupt

vollkommen anders als man glaubt,

denkt also grade umgekehrt:

Gott legt auf Steuern größten Wert

und sieht mit göttlichem Ergrimmen

dass seine Kohlen nicht mehr stimmen.

 

Drum zahlt Herr S. und denkt sich: Fein,

bald zahl nur ich noch, ich allein.

Mensch, Gott! kannst du mir dankbar sein!

 


Herr S. über Abhöraffären

Herr S. muss von Herrn Z. nun hören,

es täten sich die Fälle mehren,

wo Schufte, nur um abzuhören,

was andre sprechen, fähig wären,

in deren Telefone, Wände,

Gebisse, Schränke, Shakespeare-Bände,

sogar - mein Gott! - in deren Frauen

Kleinstmikrofone einzubauen.

Nie weiß man, sagt Herr Z. empört,

wenn man was sagt, wer´s heimlich hört!

 

Herr S. jedoch begeistert sich:

Wer sagt denn: Keiner hört auf mich?

 

 


Herr S. und das saubere Sein

Herr Z. liebt alles Wahre, Schöne.

Er kämpft zum Beispiel für Hygiene.

Was rosig ist und frisch poliert ist,

was keimfrei ist, deodoriert ist,

was blitzt und glänzt und strahlt und lacht,

das ist´s, was ihn erschauern macht.

Staubsauger sind ihm Sakramente,

davor er niederknien könnte.

Und, ruft er, Freiheit, ich begreife

dich als ein Resultat von - Seife.

Das reine Sein scheint ihm allein

das wirklich saubre Sein zu sein.

 

Herr S. wenn er Herrn Z. so reden hört,

fühlt sich so wonneschmerzensvoll bekehrt,

und eh Herr Z. zu preisen noch fortfährt

der Reinheit Lust und der Gesundheit Süße,

schleicht er verstört hinaus

und wäscht sich

seine Füße.

 


Herr S. und der Stress

 

Inmitten einer blinden Eile

befiehlt Herr S. sich, still zu stehen,

die Zeit abschmeckend eine Weile,

so kurz nach Christus um halb zehn.

 

Dem Augenblick schon, dem abstrakten

vermählt, schreit ihn Herr Z. an: " S.!

Der Zug! Das Geld! Der Pass! Die Akten!

Verträum dich nicht. Du bist im Stress!" 

 


76667

Herr S., der seine Hosen waschen

wollt lassen, fand in deren Taschen

den Zettel, worauf stand geschrieben:

Tel. sieben - sechs  - sechs - sechs - sieben.

 

Sich nicht erinnernd könnend, wär er

dem Drang erlegen fast, zum Hörer

zu greifen, um zu Takt-Gebühren

den dunklen Code zu dechiffrieren.

 

Doch kaum ertönt der Dauerton,

besiegt er seine Neugier schon

und legt die Nummern aus der Hose

andächtig in die grüne Dose. 

 

 

Wenn alle ihn deren verlassen,

Gott, Teufel, Frau und Bausparkassen,

wenn sie ihn holen kommen, dann,

wenn nichts mehr hilft, ruft er ihn an,

den einzigen, der ihm geblieben:

Tel. sieben - sechs  - sechs - sechs - sieben.

 


Eigentlich ja doch ganz nett

Wenn Herr S. jedoch mal wieder

einen kleinen Mord begangen hat,

sind Herr Z. und er die dicksten Brüder.

Und Herr Z. beleuchtet seine Tat

und beweist Herrn S., dass grade diese

Fähigkeit zum Unmensch-Sein bewiese,

dass Herr S. ein Mensch ist und

seine Schwächen erst als Hintergrund

seine Stärken als die großen Taten

einen Dennoch-Kämpfenden verraten.

 

Zwar erscheint Herr S. dies alles etwas kühn,

doch er merkt schon: es beruhigt ihn.

" Eigentlich ja doch ganz nett",

denkt er zärtlich, " dieser Z."


Herr S. warnt in einer leidenschaftlichen Ansprache vor den Gefahren des Alkohols

 

Eines müsst ihr doch zugeben:

Wär es gewesen Gottes Wille,

dass die Menschen im Suff leben,

hätt er uns eben

von vornherein mit soundsoviel Promille

hergestellt oder angefertigt

Infolge dieser Einsicht werd ich

nüchtern bleiben.

Prost!

 

Denn nur durch die Schärfe des ungetrübten

Gedankens vor allen Dingen

kann der Mensch die mit Recht so beliebten

geistigen Werke vollbringen.

Zum Beispiel.... Mit fallen grad keine ein.

Sargdeckelfabriken oder Schnapsbrennerein

oder Lotusumrandungen oder Handgranaten.

Infolge dieser Einsicht kann ich jedem nur raten,

nüchtern zu bleiben

Prost.

 

Auch aus ästhetischer Erwägung

soll der Mensch oder Invalide mit Holzbein

auf die anmutige Schönheit seiner Bewegung

achten und peinlich stolz sein.

Indem alle lieblichen Gebärden

aufrechte Ohren und ähnliche Glieder,

unbrauchbar und schlapp werden.

Was also einsehen wir wieder?

Nüchtern bleiben.

Prost!

 

Und es kommt noch hinzu:

Schnaps erzeugt Wohlbehagen.

Aus Wohlbehagen könntest du

zum Beispiel deinem liebsten Vorgesetzten sagen:

Das größte Arschloch sind Sie noch längst nicht, Herr Klein!

Man schämt sich später jahrelang für solche Schmeichelein.

Oder man schwört aus Wohlbehagen,

in Zukunft dem Alkohol zu entsagen.

Also nüchtern, wenn Sie mich fragen,

bleiben.

Prost.

 

Und damit will ich zusammenfassen:

Die Welt ist eine Trinkerheilanstalt.

Noch niemand wurde als geheilt entlassen.

Denn nüchtern ist: wer mit den Wölfen lallt.

Wer seine Leber liebt mehr als sein Leben,

ist sowieso besoffen - von Natur.

Und wer sich selbst erkennt, muss einen heben

und fliehen in die Sich- selbst Entziehungskur.

Also , verliebtes Publikum,

nüchtern bleiben

Ich fall gleich um.

Prost.

 

 


Aus dem Nachlass

 

Herr S. als Leser von Gedichten

liebt es, sich seelisch aufzurichten

an solchen, die unfertig enden - 

der Kenner weiß schon: an Fragmenten.

 

Herr Z. jedoch hasst alle Sachen,

die Menschen nicht zu Ende machen.

 

Ein noch nicht fertiges Gedicht

gehört auch nicht veröffentlicht;

der unnatürliche Genussschluss

ist Euphemismus interruptus.

 

Herr S. erklärt Herrn Z. mit Liebe:

dies Grade, das hier 

unvollendet )

 


Herr S. und der Schluss

Was den Schluss betrifft, so denkt Herr S.:

der ist wenigstens was Sicheres.

 

Anfang, denkt Herr S., ist niemals MUSS,

aber Nicht-Muss führt mit MUSS zum Schluss.

 

Und die beste Kunst in allen Sachen

ist die Kunst, rechtzeitig Schluss zu machen.

 

Auf der Höhe, sagt Herr S., des Kunstgenusses

ist die beste Zeit des guten Schlusses.

 

Abbruch aber ist nur Schluss, wenn man sich abspricht,

dass man, statt zu schließen, einfach abbr...

 


Herr S. und die Grenze

Herr S machte sich unbeliebt

mit seinem Wort: " Gut, dass es Grenzen gibt."

 

Herr Z, in grenzenloser Wut,

rief: Grenzen! Grenzen zeugen Blut.

Wer Grenzen will, begrenzt, grenzt ein,

wir müssen gegen Grenzen sein,

wenn wir dem Menschen Achtung zollen

und Freiheit, unbegrenzte, wollen!

 

Herr S, dies hörend, zeigte tief-

erschüttert sich und widerrief:

" Ich schäme mich. Ich will anstatt,

Grenzen fordern, fortan sagen:

Wenn alles seine Grenze hat,

soll auch die Grenze

ihre Grenze haben!"


Extrem Absolut

Herr S hat mit Herrn Z Probleme

 

Herr Z fragt, ob er sich nicht schäme,

Partei zu nehmen für Extreme?

Von Übel sei, so sagt Herr Z,

die Blindheit, der Extremität

" Der Anspruch auf das Absolute,

das Unbedingte, einzig Gute,

entlarvt sich selbst." Und es gelingt

Herrn Z, Herrn S zu überzeugen,

er müsse sich der Logik beugen.

Was der denn auch mit Anstand tut.

 

" Hast Recht, Z ", sagt er, " unbedingt

und absolut."


Herr S als Sperrmüll

Auf einem Sofa mit nur einem Bein

und wo das Innre schon nach außen quoll,

saß nachts Herr S im Straßenlampenschein -

zwar schwer betrunken, aber: hoffnungsvoll.

 

Er wartete Topf und Nähmaschine,

mit Kühlschrank, Rembrandt, Teppichornament,

dass ein Gerümpelsammler ihm erschiene,

der seinen wahren Wert sofort erkennt,

 

ihn ansieht und versteht, beglückt und still:

die besten Sachen landen auf dem Müll.


Herr S und die tragische Verstrickung

Aus purer Unaufmerksamkeit und so

geriet Her S einmal aufs Damenklo,

wo er nach ahnungslosem Türversperren

dasselbe tat als wäre er für Herren -

bis ihm durch Stimmen vor der Tür von Damen

gewissen grundsätzliche Zweifel kamen.

Er fühlte, ein moderner Philoktet,

wie einsam der ist, der in Schuld gerät:

an Flucht aus dem Verließ war nicht zu denken

( die Damen könnten sich zu Tode kränken )

und Sitzenbleiben voller Ungeduld

häuft auf sein Haupt nur immer größre Schuld...

 

Drei Stunden regungslos,

saß er und litt

bis er von Gram gebrochen dem WC entschritt:

ein Opfer der Erynnien - aber groß.